Inland

Der größte deutsch-amerikanische Stresstest

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Auch zwischen Schröder und Bush gab es Konflikte, aber durch die NSA-Affäre könnte das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika einen irreparablen Schaden erleiden. Auch die gerade erst entstehende große Koalition steht vor einer Belastungsprobe.

In den deutsch-amerikanischen Beziehungen erfahrene Leute sehen den „größten Stresstest“ im bilateralen Verhältnis zwischen „Berlin“ und „Washington“ voraus. Schwieriger noch als zu Zeiten Gerhard Schröders und des damaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush werde es jetzt werden, ist die Auffassung Wolfgang Ischingers, der damals deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten war und jetzt der Münchner Sicherheitskonferenz vorsteht. Im Falle Schröders und Bushs gab es einen politischen Konflikt: Schröder lehnte eine militärische Beteiligung Deutschlands am Irak-Krieg ab, was aber Hilfen und Informationen des Bundesnachrichtendienstes an die amerikanische Regierung nicht ausschloss. Das persönliche Verhältnis zwischen Schröder und Bush, sagt Ischinger, sei davon nicht betroffen gewesen. Schröder habe – von sich aus gesehen – „kein persönliches Problem“ mit Bush gehabt. Tatsächlich hatte Schröder auch gut über Bush sprechen können.

Im Falle der beiden Nachfolger droht es anders zu werden. Das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama könnte dauerhaft und irreparabel beschädigt sein. Von Beginn an war es schwierig genug – seitdem Merkel verhindert hatte, dass Obama, als er noch Kandidat war, vor dem Brandenburger Tor sprechen konnte. Viel spricht dafür, dass Merkel sich von Obama hintergangen fühlt – vor allem dann, wenn er seit langem gewusst haben sollte, dass amerikanische Geheimdienste Telefongespräche Merkels belauscht hätten. Obama soll das in dem Gespräch mit Merkel bestritten haben. Er soll von den Aktivitäten seiner Geheimdienste überrascht getan haben. Merkel könnte sich persönlich betrogen fühlen. Politiker pflegen so etwas niemals mehr zu vergessen.

Ischinger: Deutsche Reaktionen „etwas blauäugig“

Mit der Entscheidung des Bundeskanzleramtes, das Telefonat zwischen Angela Merkel und Barack Obama am vergangenen Mittwochabend öffentlich zu machen, hatten Merkel und ihre Berater allerdings in Kauf genommen, dass die NSA-Affäre in der deutschen Innenpolitik und wohl auch für die deutsch-amerikanischen Beziehungen eine neue Dimension erhielt. Dabei blieb es bei der Ungereimtheit, dass Merkel, Pofalla und die Regierungssprecher einerseits davon sprachen, es gebe keine Beweise, sondern allenfalls stehe ein Verdacht im Raum, der nicht ausgeräumt sei. Andererseits wurde in der politischen Kommunikation der Bundesregierung so getan, als seien die Vorwürfe durch Beweise belegt. Die Wortwahl Angela Merkels, „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht“, hatte eine Wirkung, die sämtliche Vorbehalte und Zweifel, ob die Vorwürfe zuträfen, wegwischte.

Freilich nannte Ischinger die Reaktionen auf die angebliche Spähaffäre „etwas blauäugig“. Es sei doch in der Bundesregierung allgemein bekannt, „dass man Vertrauliches oder gar Geheimes nicht über offene Telefone kommunizieren sollte“, sagte er der Zeitschrift „Focus“. Er sei immer davon ausgegangen, dass seine Telefongespräche von „allen möglichen Seiten“ abgehört werden könnten.

Anti-amerikanische Stimmungen bedient?

Merkel hatte die Worte über das Abhören von Freunden, das gar nicht gehe, schon im Sommer benutzt, als es Vorwürfe gab, die NSA belausche EU-Botschaften und verstoße auch gegen Rechte deutscher Staatsbürger. Aus dem Umstand der Wortgleichheit, hieß es nun, dürfe aber nicht der Schluss gezogen werden, die Bundesregierung habe schon damals Hinweise gehabt, Merkel werde persönlich belauscht. Vielmehr wird in der Bundesregierung damit auch der Vorwurf zurückgewiesen, Merkel habe sich über die NSA-Arbeit erst empört, als es sie persönlich davon betroffen gewesen sei.

Allerdings gab es im Sommer auch in der Union und der Bundesregierung Bemerkungen, die Analyse sei nicht absurd, Merkel habe – des Wahlkampfes wegen – anti-amerikanische Stimmungen in Deutschland bedient und gefördert. Erst Pofalla habe das mit seinem Verdikt beendet, der gegen die NSA gerichtete Vorwurf vom millionenfachen Registrieren von Telefonkontakten in Deutschland sei erledigt.

Zwei Versionen über Obamas Antwort

Um das Telefongespräch zwischen Merkel und Obama vom vergangenen Mittwoch beginnen sich nun ebenfalls Ungereimtheiten zu ranken. Viel spricht dafür, dass bei den Vorbereitungen des Telefonats, die vom außenpolitischen Berater der Bundeskanzlerin, Christoph Heusgen, und der Sicherheitsberaterin des amerikanischen Präsidenten, Susan Rice, getroffen wurden, die deutsche Seite ankündigte, das Gespräch und auch einige Details öffentlich zu machen. Das sei schon deshalb erforderlich gewesen, weil für die deutsche Seite feststand, das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages müsse über die Vorwürfe informiert werden, die – nachdem die Zeitschrift „Der Spiegel“ der Bundesregierung fragliche Unterlagen über die mutmaßliche Anhörung der Bundeskanzlerin präsentiert hatte – nicht hatten ausgeräumt werden können.

Über die Reaktion und die Kenntnisse Obamas gibt es jedoch seither zwei Varianten. Die eine lautet, Obama sei „zerknirscht“ gewesen und habe versichert, von der Sache nichts gewusst zu haben. Die andere lautet, Obama habe davon seit langem gewusst und die Operationen gegen Merkel nicht gestoppt. Mithin hätte er in dem Gespräch – mindestens – geflunkert. Da die amerikanische Seite vermuten wird, dass derlei Details unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt aus deutschen Quellen – mithin aus dem Kanzleramt – stammen, dürfte sie ihre eigenen Schlussfolgerungen über die angebliche Vertraulichkeit solcher Gespräche ziehen. Regierungssprecher Steffen Seibert mag derlei Widersprüche sehen und eigene Vermutungen haben. Seibert blieb am Wochenende bei seiner Linie, er teile keine Einzelheiten über ein vertrauliches Telefonat mit.

Wie wird die neue große Koalition entscheiden?

Der noch nicht gefestigten großen Koalition aber steht seit dem Wochenende eine erste Bewährungsprobe bevor – die Entscheidung nämlich, ob sie das Ansinnen unterstützen soll, wegen der mutmaßlichen Abhöraktionen des amerikanischen Geheimdienstes NSA die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss des Bundestages zu unterstützen. Schon im Sommer im Wahlkampf, noch bevor Kanzleramtsminister Ronald Pofalla im Einvernehmen natürlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Affäre und die entsprechenden Vorwürfe gegen die NSA – aufgrund deren schriftlicher Erklärung, nichts illegales in Deutschland unternommen zu haben – für beendet erklärte, waren aus der damaligen Opposition Ankündigungen und Vermutungen verbreitet worden, es werde nach der Bundestagswahl zu einem Untersuchungsausschuss kommen.

Nun hat die neue Führung der Grünen-Fraktion das offiziell gefordert. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, tat das auch. Hingegen widersprach Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, dieser Forderung. Zu den Gepflogenheiten von Koalitionsverträgen aber gehört die Vereinbarung, bei Entscheidungen im Bundestag gemeinsam abzustimmen. Allein aufgrund der Differenzen zwischen Union und SPD werden Linksfraktion und Grüne an der Forderung nach einem Untersuchungsausschuss festhalten – als Test der kleinen Opposition, wie stark der Zusammenhalt der großen Koalition im parlamentarischen Alltag sein werde.

Ausschuss müsste Steinmeier und Pofalla befragen

Nach früheren Erfahrungen freilich dürfte ein Untersuchungsausschuss des Bundestages schon daran scheitern, die Zeugenvernahme von Mitarbeitern der amerikanischen Nachrichtendienste oder auch der Botschaft in Berlin zu beantragen. Es bliebe bei innerdeutschen Fragestellungen. Die Arbeit deutscher Geheimdienste und das Wissen/Nichtwissen des Bundeskanzleramtes könnten in den Mittelpunkt der Ausschussberatung geraten. Fragestellungen könnte es geben, ob Merkel bei der Benutzung ihres „Partei-Handys“ gegen Vorschriften verstoßen habe.

Innerhalb der angestrebten großen Koalition könnte es überdies zu Auseinandersetzungen kommen. Wenn sich die SPD nach der Arbeit des Kanzleramtsministers Pofalla (und vordem: Thomas de Maizière) erkundigen wollte, könnte sich die Union damit revanchieren, den früheren Chef des Kanzleramtes, Frank-Walter Steinmeier als Zeugen zu zitieren. Der ist derzeit SPD-Fraktionsvorsitzender und später womöglich einer der wichtigsten Bundesminister im dritten Kabinett Merkel.