Medizin

Wie man der Demenz davonläuft

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Körperliche Fitness schlägt alle anderen Präventivmaßnahmen für Demenz. Erklären können Forscher den Effekt allerdings noch nicht.

Testen Sie Ihr Wissen: Welche Maßnahme vermindert das Risiko, dement zu werden, am effektivsten? Lösung A: Regelmäßiges Lösen von Denksportaufgaben? B: Regelmäßige Lektüre einer Tageszeitung? C: Regelmäßige Einnahme von Ginkgo biloba? D: Regelmäßiger maßvoller Genuss von Rotwein? Oder E: Regelmäßiges Joggen? Die wenigsten wüssten, dass sie ihrer Hirnleistung den größten Dienst erweisen, wenn sie aus all diesen Tätigkeiten das Joggen wählten. Körperliche Aktivität bringt offenbar den Geist ebenfalls auf Trab, wie immer die Ausgangsposition aussehen mag: Noch geistig fitte Probanden können mit Bewegung und Sport ihr Denk-, Lern- und Argumentationsvermögen schärfen, wenn Demenz beginnt, wird die nachlassende Gedächtnisfunktion durch körperliche Aktivität verbessert und jene Personen, die etwa wegen familiärer Veranlagung ein höheres Demenzrisiko aufweisen, können damit den Beginn der Erkrankung aufhalten – so lassen sich eine Vielzahl von früheren Forschungsarbeiten zusammenfassen und jüngste Arbeiten bestätigen dies.

Objektiver Test auf dem Laufband

Es lohnt sich, nicht zu lange damit zu warten, den Körper zum Einsatz zu bringen: Wer sich bereits in den mittleren Jahren laufend quält, ist im Alter nicht nur körperlich, sondern auch geistig fitter. Im Rahmen einer aufwändigen finnischen Studie wurden fast 20000 Teilnehmer über den Zeitraum von 1971 bis 2009 beobachtet. Ihre Fitness wurde auf dem Laufband objektiv getestet – das macht das Ergebnis im Vergleich zu sonst zugrunde gelegten Selbstauskünften zur eigenen Fitness besonders verlässlich. Legt man fünf verschiedene Fitnesslevel zugrunde, so war das Risiko, an irgendeiner Form von Demenz zu erkranken, in der Gruppe mit der besten Fitness um ein gutes Drittel geringer als bei denen, die sich als die Schlaffsten erwiesen („Annals of Internal Medicine“, Bd.158, S.162).

Das bestätigen auch die Ergebnisse einer weiteren Studie mit einer Gruppe von fast 15000 Menschen, deren körperliche Leistungsfähigkeit ebenfalls objektiv auf einem Laufband gemessen wurde. Gehörte man zu den zwei Dritteln derer mit mittleren bis guten Fitnesswerten, so sank das Risiko, an einer Demenz zu sterben, gegenüber jenen, die das letzte Drittel bildeten, um die Hälfte („Medical Science of Sports and Exercise“, Bd.44, S.253). Und ein Vergleich von neunzig Zwillingspaaren, von denen jeweils einer an Demenz erkrankt war, ergab, dass sich das Demenzrisiko bei jenen, die Sport getrieben hatten, halbierte („Journal of Gerontology and Biological Science and Medical Science“, Bd.63, S.62). Vielfach bestätigt werden diese Beobachtungen durch Tierversuchsmodelle, die zeigen, dass Lernfunktionen und Gedächtnis bei Tieren mittels körperlicher Aktivität oder Inaktivität gezielt beeinflusst werden können.

Bremse für den Verfall

Körperliche Aktivität wirkt jedoch nicht nur vorbeugend. Ende letzten Jahres lautete das Ergebnis der LADIS-Studie (Leukoaraiosis and Disability Study), dass Bewegung dem Denkapparat auch dann noch guttut, wenn sich bereits kognitive Einbußen abzuzeichnen beginnen. Körperliche Aktivität bremste im Verlauf einer dreijährigen Beobachtungsphase den geistigen Verfall erkennbar ab. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass dies unabhängig von anderen Faktoren gelang, die ebenfalls Einfluss auf den Verlauf einer Demenz nehmen können – etwa das Alter selbst, der Ausbildungsgrad, Substanzveränderungen im Gehirn, Schlaganfall und Diabetes („Stroke“, Bd.43, S.3331). Fazit: Bewegung ist per se gut für den Kopf. Daher lässt sich nicht so ohne weiteres erklären, warum die körperliche Fitness auf die geistige so vorteilhaft abfärbt. Das vordergründig stimmige Deutungsmodell lautete nämlich: Wer etwas für seine Herz-Kreislaufgesundheit tut, indem er Sport treibt und sich bewegt, schont die Blutgefäße. Denn hoher Blutdruck, hohe Blutfette, Diabetes, und andere Risiken, die die Gefäße – und auch die das Hirn versorgenden Arterien – angreifen, ziehen weniger Schäden nach sich, wenn die kardiovaskuläre Fitness stimmt. Das wiederum verringert das Risiko kleinerer Schlaganfälle und Durchblutungsstörungen, die für die vaskuläre, durchblutungsabhängige Demenz verantwortlich gemacht werden.

Aber körperliche Anstrengung verringert offenbar genauso das Auftreten der nicht vaskulär bedingten Alzheimer-Demenz und das Risiko für Demenzen insgesamt – und dies unabhängig von den Erkrankungen, die die Durchblutung beeinträchtigen. Tatsächlich ergeht man sich deshalb noch in Vermutungen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Eine gute Durchblutung soll helfen, zelluläre Abfallprodukte besser zu entsorgen, mehr schützende Substanzen zur Verfügung zu stellen und dafür sorgen, dass Regenerationsprozesse im Gehirn durch neu entstehende Nervenzellen besser funktionieren – Verringerung des oxidativen Stresses heißt eine allgemein gehaltene Begründung, die eher als Mantra denn als wissenschaftliche Erklärung zu verstehen ist, es gibt keine wirklich tragfähige.

Auch andere Hirnerkrankungen profitieren

Allerdings sollte die Tatsache, dass man derzeit mit den Erklärungen den Beobachtungen noch hinterherhinkt, nicht dazu führen, die Vorteile zu negieren. Vor allem deshalb nicht, weil auch viele andere Hirnkrankheiten ganz offensichtlich von körperlicher Aktivität profitieren, von der Schizophrenie über die Parkinsonkrankheit bis hin zu Impulskontrollstörungen. Elisabeth Zschucke und ihre Kollegen von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin haben in einer Übersichtsarbeit Anfang des Jahres zahlreiche Belege dafür zusammengetragen („Journal of Preventive Medicine &amp- Public Health“, Supplement-Bd.46, S.S12).

Über Art und Ausmaß der körperlichen Betätigung, die zu empfehlen seien, herrscht keine Einigkeit. Schon ein täglicher Spaziergang von zwanzig Minuten soll helfen, heißt es bei den einen, andere legen die Latte höher und fordern mindestens viermal wöchentlich als unteres Limit stramme Märsche mit dem Hund, besser aber ein nicht allzu bequemes, durchaus schweißtreibendes Bewegungsprogramm in Form von Laufen, Teamsport, oder Gymnastik für jeweils vierzig Minuten. Die Angaben schwanken bedenklich unwissenschaftlich zwischen nicht beweisbarer Genauigkeit – etwa, jeder Extrakilometer pro Woche reduziere das Risiko des geistigen Verfall um dreizehn Prozent – und vagen Ratschlägen, wie dem, man müsse nicht zum Marathonläufer werden, es nütze schon, wenn man sich einmal pro Woche körperlich betätige. Alex Dregan vom Kings College in London, der eine der längsten Verlaufsstudien zum Zusammenhang zwischen Herz-Kreislauf-Fitness und Demenz leitet und die jüngste Auswertung soeben in der Maiausgabe der Zeitschrift „Age Ageing“ veröffentlicht hat, pocht jedenfalls darauf, dass jede Form von Bewegung nützlich sei (Bd.42, S.338). Die Mannschaft der Mayo Klinik bezeichnete körperliche Betätigung einmal als „best bet“ im Kampf gegen Alzheimer. Ronald Petersen, der Direktor des Alzheimer Forschungszentrums an der Mayo Klinik fasst es so zusammen: „Regelmäßige körperliche Aktivität ist nach derzeitigem Wissen vermutlich die beste Alzheimerprävention – besser als Medikamente, besser als intellektuelle Tätigkeiten, besser als Nahrungsergänzungsmittel (wie Vitamine) und besser als Diäten“ (www.mayoclinic.com/health/alzheimers/ MY00001/METHOD=print).