Politik

Mit unlauteren Mitteln

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Ecuador gewährt Julian Assange diplomatisches Asyl und verstößt damit gegen das Völkerrecht. Mittels der Unverletzlichkeit einer Botschaft darf die Strafverfolgung nicht behindert werden.

Die gekonnte mediale Selbstinszenierung von Julian Assange als Kämpfer für weltweite Meinungsfreiheit hat längst den Blick darauf verstellt, dass es bei dem Streit um seine Auslieferung gar nicht um Wikileaks, sondern um die Vollstreckung eines schwedischen Europäischen Haftbefehls vom November 2010 geht. In diesem Haftbefehl werden Assange Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Nötigung zweier schwedischen Frauen in Schweden vorgeworfen. Nach dem im EU-Rechtshilferecht herrschenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ist ein solcher Haftbefehl vom ersuchten Staat (hier Großbritannien) eigentlich ohne weiteres zu vollstrecken. Dass Assange hingegen den Weg durch drei englische Gerichtsinstanzen beschreiten konnte – wodurch das Verfahren bis zur finalen Entscheidung des Supreme Court am 30. Mai gut eineinhalb Jahre gedauert hat -, liegt unter anderem daran, dass die Umsetzung des Europäischen Haftbefehls in den Mitgliedstaaten stark variiert.

Assanges Flucht in die ecuadorianische Botschaft am 19. Juni ist nun als Fortsetzung seines Kampfes mit politischen Mitteln zu sehen. So findet sich auch in der ausführlichen Begründung des ecuadorianischen Außenministeriums zur Gewährung diplomatischen Asyls vom 16. August nichts zu den eigentlichen Tatvorwürfen. Stattdessen hat Präsident Rafael Correa in seinem staatseigenen TV-Programm am 18. August leichter Hand erklärt, dass das Verhalten Assanges in Lateinamerika (sic!) überhaupt nicht strafbar sei, was, wenn es stimmen würde (was glücklicherweise nicht der Fall ist), den Kontinent zurück in den ungezügelten machismo katapultieren würde. Jedenfalls habe Ecuador Assange diplomatisches Asyl gewähren müssen, weil ihm die Weiterlieferung in die Vereinigten Staaten und dort politische Verfolgung sowie grausame Behandlung drohten.

Einer nüchternen rechtlichen Analyse hält diese Argumentation nicht stand. Denn sie verkennt die Grundstrukturen des (europäischen) Auslieferungsrechts und bedient sich mit der Figur des diplomatischen Asyls eines Rechtsinstituts, das völkerrechtlich nicht anerkannt ist.

Eine automatische Weiterlieferung an einen Drittstaat ist weder im allgemeinen Auslieferungsrecht noch im System des Europäischen Haftbefehls möglich. Zunächst muss ein interessierter Drittstaat einen Auslieferungsantrag stellen, über den der ersuchte Staat nach den Rechtsbeziehungen zwischen diesen beiden Ländern zu entscheiden hätte. Die Erfolgsaussichten eines Ersuchens der Vereinigten Staaten an Schweden richten sich nach dem Auslieferungsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von 2003. Die dort geregelten Auslieferungsgründe gehen eventuellen älteren bilateralen Abkommen zwischen einzelnen EU-Mitgliedstaaten und Amerika vor und ändern diese ab. Danach gilt zunächst das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit. Die Tat, deretwegen eine Person ausgeliefert werden soll, muss in beiden Ländern mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sein. Daraus folgt, dass die Assange von den Vereinigten Staaten vorgeworfenen Taten auch in Schweden strafbar sein müssten.

Ferner könnten Auslieferungshindernisse eingreifen. Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können EU-Mitgliedstaaten und Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention die Auslieferung bei drohender Todesstrafe sowie grausamer und erniedrigender Behandlung verweigern. Sollten die Vereinigten Staaten Assange überdies wegen absolut politischer Delikte wie Hochverrat oder Spionage verfolgen wollen, so greift auch das Auslieferungshindernis des politischen Delikts. Ungeachtet dieser allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen könnte einer Auslieferung auch der allgemein anerkannte Grundsatz der Spezialität entgegenstehen. Danach darf der (ursprünglich) ersuchende Staat (im Fall Assange Schweden) den Ausgelieferten nur wegen der im Ersuchen genannten Taten verfolgen. Das wären also die Assange vorgeworfenen Sexualdelikte. Die Weiterlieferung des mutmaßlichen Straftäters setzt außerdem die Zustimmung des (ursprünglich) ersuchten Staats (Großbritannien) voraus. Und der ersuchte Staat darf die Zustimmung nur erteilen, wenn die Auslieferung keiner der genannten Gründe entgegensteht.

Was die Gewährung „diplomatischen Asyls“ angeht, so verkennt die ecuadorianische Regierung, dass dieses – trotz immer wieder vorkommender Fälle von Botschaftsflucht – völkerrechtlich nicht anerkannt ist. Schon 1950 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) anlässlich der Flucht des peruanischen Politikers Raúl Haya de la Torre in die kolumbianische Botschaft in Lima erklärt, dass ein solches Asyl nur bei einer expliziten rechtlichen Grundlage Anerkennung finden könne. Das folgt im Übrigen schon daraus, dass die Gewährung diplomatischen Asyls eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Territorialstaats darstellt. Denn der asylgewährende Entsendestaat entzieht den Flüchtigen der nationalen Justiz. Dies unterscheidet das diplomatische Asyl grundlegend vom klassischen Asyl, das der Territorialstaat auf seinem Hoheitsgebiet befindlichen Personen gewährt. Die lateinamerikanische „Konvention zum diplomatischen Asyl“ von 1954 ändert an der Rechtswidrigkeit des diplomatischen Asyls nichts, denn sie ist bloß regionales Völkerrecht. Im Übrigen sieht die Konvention kein Asyl „wegen allgemeiner Delikte“ vor, wie es Assange gewährt wird. Im Ergebnis erkennt damit das Völkerrecht allenfalls in Extremfällen, etwa bei einem Bürgerkrieg und bei Lebensgefahr für den Betroffenen, das Recht auf eine vorübergehende Flucht in eine Botschaft an. Auf Assange findet diese Ausnahme offensichtlich keine Anwendung. Deshalb ist auch die Forderung Ecuadors nach sicherem Geleit unbegründet. Vielmehr könnten die britischen Behörden Assange sofort nach Verlassen der Mission festnehmen.

Die Rechtswidrigkeit des diplomatischen Asyls lässt allerdings den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Mission, wie er in der Wiener Diplomatenkonvention ohne Einschränkungen anerkannt ist, unberührt. Das gilt selbst dann, wenn die Räumlichkeiten zweckwidrig, etwa zur Planung von Straftaten oder eben zur Gewährung diplomatischen Asyls, genutzt werden. Das in diesem Zusammenhang angeführte englische Gesetz von 1987 gibt dem Außenminister zwar die Möglichkeit, diplomatischen Einrichtungen die Unverletzlichkeit zu entziehen. Doch diese Maßnahme ist nicht einmal in der britischen Praxis populär, nicht zuletzt wegen ihrer gefährlichen Präzedenzwirkung. Vor allem müsste sie auch völkerrechtlich zulässig sein. Die zulässigen Gegenmaßnahmen des betroffenen Staates ergeben sich allein aus der Wiener Konvention, die ein in sich geschlossenes System mit klarem Primat des Unverletzlichkeitsgrundsatzes darstellt. So kann der Empfangsstaat zwar Botschaftsmitglieder zur persona non grata erklären und auch die diplomatischen Beziehungen zum Entsendestaat vollkommen abbrechen (was die Schließung der Botschaft zur Folge hätte). Er kann aber die Unverletzlichkeit der Botschaft nicht aufheben. Das kommt allenfalls bei einem so gravierenden Völkerrechtsverstoß des Entsendestaats in Betracht, der ein Notwehr- oder Notstandsrecht für den Empfangsstaat auslösen würde. Im Falle diplomatischen Asyls kann davon in der Regel nicht ausgegangen werden, zumal der IGH entschieden hat, dass der asylgewährende Entsendestaat – trotz der Völkerrechtswidrigkeit des diplomatischen Asyls – den Flüchtigen nicht an die Behörden des Territorialstaates überstellen muss.

Bei dieser Rechtslage wäre es für Großbritannien am Vernünftigsten, nichts zu tun und abzuwarten, bis Assange die Botschaft verlässt. Assange könnte dies lediglich in einem Botschaftswagen tun, denn dieser kann zwar angehalten, darf aber nicht durchsucht werden. Im Übrigen sollte Großbritannien erwägen, die Angelegenheit dem IGH vorzulegen. Sollte Ecuador versuchen, dessen Befassung zu verhindern, würde es sich in Widerspruch zu seiner selbst propagierten Völkerrechtsfreundlichkeit setzen. Der IGH wird die Rechtswidrigkeit des diplomatischen Asyls bestätigen und Assange und seinen Anhängern vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen, was das Gericht schon 1950 gesagt hat: Die Gewährung von Asyl darf der Ausübung der Rechtspflege nicht zuwiderlaufen.