Essen & Trinken

Italiener beim Auswärtsspiel

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Ihre Küche gilt als eine der besten der Welt, auch für die Queen haben sie schon gekocht: Enrico und Roberto Cerea aus der Lombardei. Am Herd streiten die Brüder sich schon mal. Aber sie teilen die gleiche Philosophie: „Wir wollen immer gewinnen.“

Zwei Italiener servieren Spaghetti. Kein ungewöhnliches Gericht in Deutschland, wo Italien kulinarisch oft noch immer mit „Pasta und Pizza“ übersetzt wird. Doch diese Spaghetti sind anders, denn die Leidenschaft von Enrico und Roberto Cerea sind Fische und Meeresfrüchte aus dem Mittelmeer. Ihre „Spaghetti di tonno con bagna cauda“ sind daher auch kein Teiggericht, sondern hauchdünn geschnittene Streifen aus frischem Thunfisch, die sich mit Pistazienbröseln und einer Piemonteser Sauce aus Sardellen und Knoblauch zu einer belebenden, fruchtig-frischen mediterranen Köstlichkeit verbinden. Dabei von Spaghetti zu sprechen, ist eher ein ironischer Scherz auf der Speisekarte, mit der die Cerea-Brüder die teutonischen Vorurteile humorvoll zitieren.

Zwei Brüder, drei Sterne: Enrico, 48, ist das Oberhaupt des exklusiven Landhaus-Imperiums der Familie Cerea. Gemeinsam mit seinem acht Jahre jüngeren Bruder Roberto führt er das Restaurant „Da Vittorio“ in Brusaporto in der Lombardei, dessen Küche der Guide Michelin seit 2010 zu den „besten der Welt“ zählt, die immer eine Reise wert seien.

Aufgewachsen zwischen den Kochtöpfen der Eltern

Die englische Königin kam vor einiger Zeit zwar nur bis Mailand, aber das Galadiner, das die beiden Brüder dort der Monarchin bereiteten, sehen sie bis heute als einen Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere am Herd. Nun geben die beiden Italiener mit ihrer authentischen, in Aromatik und Optik nicht übersteigerten Küche ein Gastspiel in Deutschland, beim „Rheingau Gourmet und Wein Festival“ in Hattenheim im Rheingau unweit von Frankfurt, wo ihr Diner mit den ironischen Spaghetti als erstem Gang beginnt.

Dass zwei Brüder mit italienischem Temperament gemeinsam auf dem eng begrenzten Raum einer Küche auf Sterneniveau kochen, ist in der Welt der Spitzengastronomie nicht alltäglich. „Aber vergessen Sie die Zwillingsbrüder Jaques und Laurent Pourcel mit ihrem großartigen Restaurant in Montpellier nicht“, sagt Enrico, der zunächst Sprachen studiert hat, ehe er unter anderem Heinz Winkler in Aschau, Georges Blanc in Vonnas, Ferran Adrià in Roses und Sirio Maccioni in New York über die Schulter und in die Töpfe geblickt hat, um seine Fertigkeiten zu schulen. Seinen Bruder Roberto führten die Wanderjahre während seiner Ausbildung zum Koch unter anderem zu den Brüdern Troisgros nach Roanne und zu Roger Verger an die Cote d’Azur, ehe beide Brüder in die Lombardei zurückkehrten.

Zusammen führen Enrico und Roberto heute das von Vater Vittorio und Mutter Bruna schon 1966 eröffnete Restaurant, das ein großer Familienbetrieb ist, denn auch die drei anderen Geschwister und ihre Partner sind in den Betrieb des eindrucksvollen Relais & Chateaux-Hauses eingebunden. Die Brüder sind gewissermaßen zwischen den Kochtöpfen der Eltern aufgewachsen, und Enricos Lieblingsgericht war Risotto Mailänder Art, obwohl seine Eltern zu den Vorreitern in Italien gehörten, die ihre Küche ganz auf die Zubereitung von Fisch zuspitzten.

Zwei kreative Brüder und vom Naturell her durchaus unterschiedliche Charaktere gemeinsam in einer Küche, da fliegen bisweilen aber auch die Fetzen. „Natürlich streiten wir uns auch beim Kochen“, gibt Enrico unumwunden zu. „Aber wir hatten mit unserem Vater ja beide den gleichen Lehrer, und wir haben die gleiche Philosophie.“ Also raufen sie sich am Herd zusammen, anstatt die Kochlöffel zu kreuzen. „Am Ende finden wir stets zu einem Konsens, denn ohne Harmonie geht es in der Küche nicht“, ergänzt Roberto.

Mächtiger, deftiger, üppiger

Neue Speisen und Menüs im Hause Cerea sind somit keine kreativen Einzeltaten, die einer der Brüder im stillen Kämmerlein ausgeheckt hat und die dann verkündet werden, sondern stets Folge eines familiären Diskurses und gemeinsamer Experimente. Dabei folgen die Brüder weniger aktuellen Trends in der internationalen Küche, sondern versuchen, ihren ureigenen Stil behutsam weiter zu entwickeln und sich dabei selbst treu zu bleiben. Jeder Tag im Restaurant bedeute eine neue Herausforderung im Streben, immer noch besser zu werden, formuliert Enrico sein Ziel. Aber vor allem müsse der Gast zufrieden sein, ergänzt Roberto.

Zweiter Gang. Eine von Petersilie grün gefärbte Kartoffelcreme bedeckt frisch frittierte Calmaretti. Ein unerwartet mächtiger Zwischengang, der zugleich eine Abkehr von der Finesse und Leichtigkeit der Vorspeise bedeutet. Die Brüder kochen im Rheingau deftiger und üppiger auf als andere Sterneköche während des zweiwöchigen Festivals. Es ist eine traditionelle italienische Landhausküche auf Basis bester Produkte, die mit hoher handwerklicher Präzision auf den Teller gebracht wird.

Gut vorbereitet, leidenschaftlich und professionell muss nach Ansicht von Enrico ein Küchenchef sein, wenn er eine Brigade erfolgreich führen will. Zu viel Toleranz sei hier fehl am Platz. Der Küchenchef, dessen heimliche Leidenschaft das Golfspiel ist, will den Kurztrip ins Rheingau auch nutzen, um einige süße Rieslingweine zu verkosten, die seiner Ansicht nach weltweit unerreicht sind. Beim Wein demonstrieren die Brüder ohnehin Weltoffenheit: In ihrem Lokal in der Lombardei offerieren die Sommeliers mehr als 1300 verschiedene Tropfen aus aller Welt.

Was können Gäste erwarten, wenn Köche wie die Cerea-Brüder bei so einem Festival nicht in ihrer gewohnten Küche arbeiten? Was, wenn die gewohnten Zuarbeiter und die eingespielten Mitarbeiter einer großen Brigade fehlen, wenn bestimmte Produkte nicht zur Hand sind oder ihr Geschmacksbild nicht dem im Heimatland entspricht? Wie kommen Spitzenköche damit zurecht, wenn sie nicht nur 20 oder 30 Gäste im heimischen Restaurant bedienen müssen, sondern mehr als hundert erwartungsvolle Feinschmecker?

Für Enrico und Roberto Cerea ist das keine Erschwernis, sondern eine Herausforderung. Enrico vergleicht den Kücheneinsatz im Rheingau mit einem Auswärtsspiel im Fußball. Natürlich sei die Cerea-Familie zu Hause im „Da Vittorio“ eine schwer zu schlagende kulinarische Macht. Ein Heimspiel sei immer die einfachere Variante. Aber die Art zu spielen oder zu kochen verändere sich auch außerhalb Italiens nicht: „Wir wollen immer gewinnen.“

Optische Abstriche

Daher würden auch die Rezepte nicht verändert, obwohl die Art der Zubereitung den Gegebenheiten angepasst werden müsse. Schon am Vortag des Galadiners haben sie zwei Köche ihrer Brigade in den Rheingau vorausgeschickt, um in der Küche des „Kronenschlösschens“ die notwendigen Vorarbeiten zu leisten. Mehr bedarf es nicht, denn die Cerea-Brüder schätzen die Unterstützung der Stamm-Mannschaft des Ein-Sterne-Lokals.

Dennoch ist das Genusserlebnis im Rheingau ein anderes als eine halbe Autostunde von Mailand, gibt Enrico zu. Nicht nur, weil er für 130 erwartungsvolle Gäste statt für maximal 80 im eigenen Restaurant zu kochen hat. Die Rezepte für den Auftritt in Eltville-Hattenheim wurden sorgsam ausgesucht, weil bestimmte Küchentechniken in der Heimstatt des scheidenden Patrons Patrik Kimpel nicht möglich waren. Auch optisch müssen die Brüder für ihre Kreationen Abstriche machen, weil sich ihre für das eigene Restaurant von einem Designer eigens entworfenen Teller nicht so einfach in den Rheingau verfrachten ließen

Dennoch sollen die Gäste auch in Hessen spüren, warum die Brüder vom „Da Vittori“ selbstbewusst als von einem der besten Fischrestaurants in Italien sprechen. Die Muschel-Nudeln im Sud mit Fischsuppe sind von derart würziger und opulenter Art, dass die Rotweine aus der Toskana Mühe haben, sich als kongeniale Partner zu erweisen.

Finale aus nussigem Eis und Mousse

Wer von Dreisterneköchen auch außerhalb ihres Stammhauses immer das Außergewöhnliche, Innovative, Überraschende erwartet, wird an diesem Abend enttäuscht. Das Zicklein „Bergamo“ ist ein edles und perfekt gegartes Stück Fleisch, das mit einigen Meersalzkristallen der krossen Haut, mit Speckkartoffeln und Brokkolicreme einen gänzlich unspektakulären Auftritt auf dem Teller hat. Geschmacklich zeigt der Hauptgang gleichwohl, warum das Restaurant zwischen Bergamo und Brescia seinen festen Platz im Adressbuch der Feinschmecker hat. Die Lombardei gehört zudem zu den reicheren Regionen Italiens, weil die Wirtschaft rund um Mailand vergleichsweise floriert und die Arbeitslosigkeit geringer ist als in den meisten anderen Ecken Italiens.

Mit ihrem Hauptgang entziehen sich Enrico und Roberto jenen Verrenkungen in Küche und auf dem Teller, denen sich viele Spitzenköche unterwerfen. Es ist eine traditionelle, klassische Küche, die keine Abstriche bei der Qualität der Rohstoffe duldet und die mit moderner Technik präzise ausgeführt wird. Im Stil einer gehobenen Landhausküche geht es durchaus deftig und opulent zu Werke. Sie findet ihr Finale in einer kleinen Patisserie aus nussigem Eis und Mousse auf einem Knusperbett von Puffreis und Schokolade.

Danach lassen sich die beiden gemeinsam für ein außergewöhnliches Landhausmenü feiern. Einen Bruderzwist gab es an diesem Abend in der Küche nicht, denn der italienische Familiensinn ist so groß, dass Enrico ohne Bruder Roberto an der Seite etwas fehlen würde: „Zu zweit kocht es sich viel einfacher als allein.“