Natur

Ein Auge für das Magnetfeld

• Bookmarks: 2


Seit Jahren suchen Wissenschaftler jene Sinneszellen, die den inneren Kompass der Zugvögel ausmachen. Ausgerechnet beim Huhn ist das Rätsel jetzt gelöst worden.

Tief im Vogelauge schlummert ein Geheimnis. Es zieht eine wachsende Schar von Forschern in seinen Bann, denn anscheinend verbirgt sich dort ein höchst ungewöhnliches Sinnesorgan. Zahlreiche Beobachtungen sprechen dafür, dass im Auge von Vögeln ein Fühler für Magnetfelder sitzt. Nicht nur Zoologen, sondern auch Physiker und Hirnforscher versuchen, die Funktionsweise des biologischen Magnetsensors zu entschlüsseln. Eine Gruppe um Roswitha und Wolfgang Wiltschko von der Universität Frankfurt ist nun einem grundlegenden Mechanismus auf die Spur gekommen.

Der magnetische Sinn von Vögeln lieferte den Stoff für einen Forschungskrimi. Begonnen hat er im Oktober 1963, als Wolfgang Wiltschko erkannte, dass Zugvögel das Magnetfeld der Erde zur Orientierung nutzen können. Das hilft ihnen zum Beispiel, auch nachts auf Kurs zu bleiben. Zunächst stieß der junge Forscher auf große Skepsis. Nach und nach vermochte er aber alle Zweifel auszuräumen. Inzwischen gibt es eine lange Liste von Tieren, bei denen eine Reaktion auf das Erdmagnetfeld nachgewiesen wurde. Auf ihr stehen Schnecken, Krebse, Insekten, Fische, Amphibien, Reptilien und Säuger. Dominiert wird sie aber von Vogelarten. Nicht nur bei Zugvögeln, sondern etwa auch bei der Brieftaube und sogar dem Haushuhn wurde man fündig.

Zu den Polen oder zum Äquator?

Die Suche nach dem Prinzip, nach dem Vögel das Erdmagnetfeld wahrnehmen, erforderte von Anfang an ein gerütteltes Maß an Frustrationsvermögen. Zu allem Überfluss zeichnete sich in den neunziger Jahren ab, dass es nicht nur ein entsprechendes Sinnesorgan, sondern zwei davon geben muss. Eines scheint wie ein Gaußmeter die Stärke des Magnetfeldes zu registrieren und so dem Vogel wichtige Komponenten seiner Navigationskarte zu liefern. Es fehlt aber noch eine Richtungsinformation. Diese stellt offenbar ein Kompass bereit. Er reagiert auf die Neigung des Magnetfeldes zur Erdoberfläche und ermöglicht dem Zugvogel eine Unterscheidung zwischen „polwärts“ und „äquatorwärts“.

Verhaltensstudien zeigten, dass der biologische Inklinationskompass durch Licht aktiviert wird und offenbar im Auge lokalisiert ist. Der ominöse Magnetfühler, so die These, müsse aus Molekülen in der Netzhaut bestehen. Angeregt durch Licht, komme es zu einer Elektronenübertragung von einem Teil des Moleküls auf einen anderen. Dabei entstünden zwei freie Elektronen – ein Radikalpaar. Dem Modell zufolge können die angeregten Moleküle in verschiedenen, vom Drehimpuls der freien Elektronen abhängigen Zuständen vorliegen Die Forscher sprechen von einem Singulett- und Triplett-Zustand. Deren Verhältnis zueinander hängt von der Ausrichtung des Moleküls im umgebenden Magnetfeld ab. Dadurch kann ein neuronales Signal entstehen, das die Richtung des Magnetfelds wiedergibt. Als derartige molekulare Verwandlungskünstler scheinen ursprünglich bei Pflanzen entdeckte Proteine, sogenannte Cryptochrome, wirken zu können. Sie sind inzwischen in der Netzhaut verschiedener Vögel gefunden worden.

Lichtempfindliche Protein weist den Magnetweg

Vor etwa einem Jahr haben die Frankfurter Forscher Cryptochrom 1a in bestimmten Zapfen-Sehzellen des Rotkehlchens und Haushuhns nachgewiesen. Es blieb aber offen, ob das Molekül dort tatsächlich durch Licht angeregt wird. Daher hat man insgesamt 25 Küken unterschiedlichem Licht genau definierter Wellenlänge ausgesetzt und dann mit speziellen Antikörpern nach aktiviertem Cryptochrom in der Netzhaut der toten Tiere gefahndet. Es zeigte sich, dass Licht jener Wellenlängen, bei dem Vögel in der Natur ihren Magnetkompass nutzen können, zur Aktivierung des Cryptochroms führte. Am stärksten war der Effekt im Bereich von Ultraviolett bis Türkis. Überraschenderweise trat er aber auch noch bis ins Grün-Gelbliche hinein bei 583 Nanometern auf. Bei solch langwelligem Licht kann das Radikalpaar, das man bislang als entscheidend für den Magnetsensor hielt, aber nicht gebildet werden. Wie die Forscher im „Journal of the Royal Society Interface“ (doi: 10.1098/rsif.2013.0638) ausführen, könnte ein anderes Radikalpaar diese Funktion innehaben. Bei den Experimenten ist es der Frankfurter Arbeitsgruppe jedenfalls, wie Roswitha Wiltschko ausführt, „erstmals gelungen, die Licht-Aktivierung von Cryptochrom unter natürlichen Umständen zu messen“.

Bei rotem Licht sowie im Dunkeln unterblieb die Aktivierung von Cytochrom 1a. Das steht im Einklang mit Verhaltensstudien, die zeigten, dass Vögel unter diesen Bedingungen nicht auf einen Magnetkompass zurückgreifen können. Andererseits nutzen sie ihn durchaus bei Nachtflügen. Des Rätsels Lösung ist, dass selbst schwaches Licht schon ausreicht. „Der Magnetkompass der Vögel braucht nur extrem wenig Licht“, sagt Wolfgang Wiltschko. Die Frankfurter Forscher nehmen ihre Verhaltensversuche mit Rotkehlen normalerweise bei einer Lichtmenge vor, wie sie bei klarem Himmel eine Dreiviertelstunde nach Sonnenuntergang vorherrscht. Mitunter konnten sie sogar noch bei einem Zehntel dieser Lichtmenge eine Magnetfeldorientierung nachweisen.

Magnetometer im Schnabel

Nicht nur der Kompass der Vögel, sondern auch deren Gaußmeter hält die Forscher auf Trab. In beiden Fällen werfen Funktionsweise und Sitz des Organs noch Fragen auf. Was das biologische Gaußmeter betrifft, gibt es seit langem Hinweise auf eine Lokalisierung im Oberschnabel. Frankfurter Zoologen fanden bei Brieftauben Partikeln aus Eisenoxid innerhalb von Nervenzellausläufern in der Schnabelhaut. Betäubte man diesen Bereich, war die Magnetfeldwahrnehmung der Tiere beeinträchtigt. Auch bei anderen Vögeln fanden sich entsprechende Strukturen. Eine Arbeitsgruppe um David Keays am Wiener Forschungsinstitut für Pathologie äußerte im vergangenen Jahr aber Zweifel. Die eisenhaltigen Zellen, so ihr Fazit, seien keine Neuronen, sondern Makrophagen, also Blutzellen. Die Frankfurter Forscher überzeugte das nicht. Sie kreideten den Wiener Kollegen methodische Mängel an.

Schon geraume Zeit ist zudem das Innenohr der Vögel als möglicher Sitz des Gaußmeters im Gespräch. Unlängst berichtete die Wiener Gruppe, man habe eisenhaltige Kügelchen in Haarzellen des Innenohrs entdeckt (“Current Biology“, doi: 10.1016/j.cub.2013.04.025). Keays räumte zwar ein, nicht zu wissen, was genau die Funktion der mysteriösen Eisenkügelchen ist. „Möglicherweise“, so fuhr er aber fort, „sind sie die lang gesuchten Magnetrezeptoren“. Wolfgang Wiltschko ist da skeptisch und verweist auf konträre Untersuchungsergebnisse: „Aufgrund unserer eigenen Erfahrung halten wir wenig von der Annahme, dass die Haarzellen im Innenohr an der Magnetrezeption beteiligt sind“. So darf man sich wohl auf eine Fortsetzung des Forschungskrimis freuen.