Gesellschaft

„Ich wäre gern Adele“

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Céline Dion hatte nie ein wildes Leben. Und auch kein Pech mit Männern. Im Interview erklärt sie, wie man trotzdem über die Liebe singen kann, wie wichtig die Charts sind und wie sie sich ihre Zukunft vorstellt.

Frau Dion, hängt Ihnen Ihr „Titanic“-Hit „My Heart Will Go On“ eigentlich manchmal selbst zum Hals heraus?

Manchmal schon, das gebe ich zu. Aber mein Publikum lässt mich vergessen, dass ich es schon gefühlte drei Milliarden Mal gesungen habe. Viele Leute hören das Lied zum ersten Mal live, wenn sie in meine Show kommen, und ich kann spüren, wie sie das begeistert. Kaum geht der Vorhang auf und die ersten Töne sind zu hören, kommt ein lautes „Whoo-hoo“ aus den Rängen. Das ist ansteckend.

Ist Céline Dion heute kommerziell noch so relevant wie 1997, als der „Titanic“-Song herauskam?

Ich weiß es nicht. Wie oft habe ich schon gehört, dass ich andere Sachen singen und mich an das anpassen soll, was gerade angesagt ist? Und wie oft haben die Leute über Balladen die Nase gerümpft? Aber du bist nun mal, wer du bist. Du kannst nicht einfach sagen: In drei Jahren werde ich zur Country-Sängerin, und in zehn Jahren mache ich Rock’n’Roll. Du kannst vielleicht mal einen Ausflug in ein anderes Genre machen, aber du kannst dich nicht komplett verwandeln. Du kannst nur dein Bestes geben, ob es jetzt einen Platz für dich in der Industrie gibt oder nicht.

Wird es diesen Platz für Ihr neues Album „Loved Me Back To Life“ geben, das am 1. November erscheint?

Ich kann behaupten, dass ich mit dem Album das Beste gegeben habe, was ich heute bieten kann – unabhängig von der Frage, wie kommerziell es ist. Natürlich hoffe ich, dass es funktioniert. Aber ich weiß, dass ich nicht jedem gefallen kann.

In diesem Herbst gibt es eine ganze Flut neuer Alben von jüngeren weiblichen Superstars, von Lady Gaga über Katy Perry bis Britney Spears. Haben Sie Sorge, daneben zu bestehen?

So sehe ich das überhaupt nicht. Zunächst einmal ist bei mir die Ausgangslage ganz anders. Ich komme zum ersten Mal seit sechs Jahren mit einem englischsprachigen Album heraus, die anderen Mädchen waren in der Zwischenzeit viel aktiver. Und wenn man nur anfängt, darüber nachzudenken, mit all den anderen konkurrieren zu müssen, kommt man da nicht wieder raus. Ich sehe mich nur im Wettbewerb mit mir selbst.

Wäre es schlimm, wenn das neue Album kein Erfolg in den Verkaufscharts wird?

Ich schaue nie auf die Charts. Das tun die Leute von meiner Plattenfirma und mein Mann René. Die schauen auf die Zahlen und auf das Geld. Ich schaue in die Gesichter der Fans. Solange die in meine Shows kommen und solange sie singen, lachen und tanzen, weiß ich, dass ich noch gefragt bin.

Sie werden wirklich keinen Blick auf die Charts werfen, wenn Ihr Album herauskommt?

Nein, die Charts interessieren mich nicht. Ich höre nicht mal die Musik aus den Charts.

Viele Ihrer Lieder handeln von gebrochenem Herzen. Sie haben selbst oft gesagt, dass René der einzige Mann in Ihrem Leben war. Finden Sie, Sie können genauso glaubwürdig über Herzschmerz singen wie zum Beispiel Adele?

Ich wünschte, ich könnte das, und ich wünschte, ich wäre Adele, aber das bin ich nun mal nicht. Ich bin extrem glücklich in meinem Leben, und für meine Lieder leihe ich mir eben Geschichten von anderen aus.

Auf Ihrem neuen Album gibt es aber offenbar auch Lieder, mit denen Sie sich identifizieren können, wie „At Seventeen“ über das Dasein als jugendliches Mauerblümchen. Sie haben gesagt, Sie fanden sich als Teenager nicht hübsch und nicht schön. Finden Sie sich heute schön?

Oh ja! Ich fühle mich sehr gut. Ich habe mich weiterentwickelt. Was immer nicht perfekt ist, ob es jetzt die Nase ist oder das Kinn, hat keine Priorität mehr für mich.

Sollte doch einmal ein Tag kommen, an dem Sie in den Spiegel schauen und sich nicht schön finden, würden Sie mit Operationen nachhelfen?

Nein. Wobei ich oft darüber nachgedacht habe, für bestimmte Dinge.

Wie etwa?

Ach, zum Beispiel wie man diese oder jene Falte füllen könnte. Und ich hätte sehr gerne eine kleinere Nase oder ein weniger spitzes Kinn. Aber jeder hat doch irgendetwas an sich selbst auszusetzen. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit mal gesagt: „Wieso kann ich mir nicht einfach ein bisschen Botox geben lassen?“ Aber das geht bei mir als Sängerin nicht, weil Botox die Muskeln lähmt. Wenn man mit der Spritze nur ein bisschen zu tief gehen würde, könnte es meine Stimmbänder erwischen.

Sie schreiben Ihre Lieder nicht selbst, haben das aber schon für andere Künstler getan. Würde es Sie nicht reizen, ein Album mit eigenen Titeln aufzunehmen?

Nein, den Ehrgeiz habe ich nicht. Manchmal kommen mir Ideen. Aber wenn ich dann die Melodie habe und vielleicht ein Drittel des Textes, höre ich im Geiste immer, wie es jemand anderes singt. Also gebe ich das Lied ab. Außerdem: Wenn man so tolle Songschreiber hat wie ich, muss man sich gar nicht die Frage stellen: „Sollte ich vielleicht selbst ein Lied komponieren?“

Aber es mag ja Snobs geben, die sagen, jemand ist kein richtiger Musiker, wenn er keine eigenen Lieder schreibt oder kein Instrument spielt. Fühlen Sie sich selbst als komplette Künstlerin?

Ich verstehe den Einwand. Und ich gebe zu, dass ich manche Dinge gerne können würde. Noten lesen oder Klavier spielen zum Beispiel.

Céline Dion kann keine Noten lesen?

Nein, habe ich nie gelernt, leider.

Wollen Sie das nachholen?

Nein, ich habe beschlossen, dass es Wichtigeres für mich gibt. Vor allem zu genießen, Mutter zu sein und meine Kinder großzuziehen.

Sie haben Zwillinge, die fast drei Jahre alt sind, und einen zwölf Jahre alten Sohn. Welche Musik hört denn Ihr Ältester?

Eminem. Nichts von mir. Oder höchstens insgeheim, weil er viel zu stolz wäre, um zu sagen: „Mir gefallen deine Lieder, Mama.“ Ich bin Mutter und deshalb nicht cool.

Was würden Sie davon halten, wenn er einmal selbst ins Showgeschäft möchte?

Das wäre völlig in Ordnung, ich würde ihn unterstützen.

Was würden Sie sagen, wenn er Ihnen eröffnet, er möchte eine 26 Jahre ältere Frau heiraten – ähnlich wie Sie selbst den 26 Jahre älteren René geheiratet haben?

Schon okay. Ich wäre nicht gerade in der besten Position, ihn davon abzuhalten. Aber sie müsste mich überzeugen, dass sie gute Absichten hat.

Ihre junge Kollegin Miley Cyrus sorgt im Moment mit nackter Haut und Schockfaktor bei ihren Auftritten für Wirbel. Was sagen Sie als etablierte Künstlerin dazu?

Das ist natürlich Kalkül, und ich bin froh, dass ich das nicht tun muss. Können Sie sich vorstellen, ich müsste mit so etwas konkurrieren? Da würde mir das beste Lied der Welt nicht mehr helfen. Für manche jungen Kollegen ist eben das Sich-Ausziehen ein Weg, um sich auszudrücken.

Finden Sie das beklagenswert?

Ich mache niemandem einen Vorwurf. Leute wie Miley Cyrus meinen es nicht böse. Aber sie finden, sie müssen so weit gehen, um etwas zu fühlen und einen Kick zu kriegen. Die Gesellschaft treibt sie dazu. Was früher anstößig war, ist es heute nicht mehr. Die Schwellen sinken. Was bei Miley Cyrus passiert, ist ganz offensichtlich: Sie hat es satt, ein Kinderstar zu sein, und sie will sich von ihren Eltern nicht mehr sagen lassen, was sie zu tun hat. Sie sagt: „Das ist jetzt mein Leben, und das ist meine Haut, und ich werde sie euch zeigen.“ Sie hat damit offenbar einen Heidenspaß. Ich hoffe, dass sie den auch in Zukunft noch hat und dass es nicht irgendeinen Kollaps gibt.

Sie scheinen nie viel für die wilderen Seiten des Showgeschäfts übriggehabt zu haben, ob Sex oder Drogen. Wie kann man es in dieser Industrie überhaupt vermeiden, da hineingezogen zu werden?

Ganz einfach. Sie sagen: „Ich danke Ihnen tausend Mal für die Einladung zu Ihrer Party, aber ich kann leider nicht kommen.“ Das heißt nicht, dass man nie zu einer Party gehen kann, aber man muss von den richtigen Leuten umgeben sein. Denn auf jeder Party gibt es Alkohol und Drogen, und jeder sagt zu dir: „Ach, du bist die Beste unter den Besten“, und jeder sagt Ja zu allem, was du willst. Das Showgeschäft ist ein Geschäft der Ja-Sager. Es ist eine sehr gefährliche Industrie, und in diese Falle wollte ich nie tappen. Deshalb habe ich mich selbst überbehütet.

Sie haben selbst nie Drogen genommen?

Nein, kein einziges Mal.

Was ist das Wildeste, das Sie je getan haben?

Hm… Vielleicht war es der Abend in Amsterdam, das war schon in den neunziger Jahren. Ich bin nach einem Auftritt mit meinen Musikern tanzen gegangen, und ich hatte einige doppelte Tequilas. Und ich war es nicht gewohnt, zu trinken. Jedenfalls war mir nicht bewusst, dass ich am nächsten Tag wieder eine Show hatte. „All By Myself“ zu singen war echt hart.

Also eine durchzechte Nacht in Amsterdam war die wildeste Erfahrung Ihres Lebens?

Ich war an dem Abend nicht einmal sooo furchtbar betrunken, weil ich viel getanzt habe. Ich hatte einfach nie ein wildes Leben. Auch wenn die Leute nicht aufhören wollen, nach einem dunklen Punkt bei mir zu suchen.

Machen Sie sich Sorgen, dass Sie eines Tages die hohen Töne nicht mehr so treffen wie heute?

Ich werde sie sogar ganz bestimmt nicht mehr treffen. Als ich zwanzig Jahre alt war, habe ich anders gesungen als mit 14. Und heute mit 45 ist es wieder anders, und mit 60 wird es noch mal anders sein. Das ist nichts Schlimmes. Ich sehe das so: Die Stimme entwickelt sich im Laufe der Jahre weiter wie guter Wein.

Wie lange sehen Sie sich noch im Showgeschäft?

Ich weiß es nicht, aber es wird sicher einmal ein Punkt kommen, an dem ich sage: Das gibt mir keinen Kick mehr. Und wenn ich diesen Kick nicht mehr habe, dann wird es Zeit, aufzuhören.

Sie gehören also nicht zu den Künstlern, die die Bühne brauchen wie die Luft zum Atmen?

Nein, ich brauche die Bühne nicht, um atmen zu können. Ich brauche mein Glücklichsein, meine Stabilität, meine Familie. Ich kann zu Hause viel besser atmen als auf der Bühne. Auf der Bühne bin ich manchmal ein bisschen in Panik.

Können Sie sich vorstellen, wieder einmal vor kleinerem Publikum als bei Ihrer Show in Las Vegas zu singen?

Auf jeden Fall, darüber denke ich sogar sehr viel nach. Ich würde liebend gerne „Unplugged“-Konzerte in einer intimeren Atmosphäre geben.

Singen Sie zu Hause unter der Dusche?

Und wie, ich singe alles Mögliche. Adele zum Beispiel, oder Lieder aus Kindersendungen im Fernsehen. Selten meine eigenen Sachen.

Warum twittern Sie nicht?

Keine Zeit. Was soll ich auch schreiben? „Ich bin mit meinem Bodyguard im Auto unterwegs, und wir sind gerade an einer Tankstelle“?

Wieso nicht? Das machen viele andere Stars auch.

Ich aber nicht. Das macht mich dann eben zu etwas Besonderem.