Europäische Union

Gefeiert von der Welt, angefeindet zu Hause

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Die 16 Jahre alte Pakistanerin Malala Yousafzai erhält in diesem Jahr den Sacharow-Preis des EU-Parlaments. Im Westen hat sie den Status einer Ikone und gilt als Vorkämpferin für Schulbildung und Emanzipation. Nun hat sie schon eine Autobiographie vorgelegt.

Sie wolle nicht das Mädchen sein, „das von den Taliban angeschossen“ wurde. Das sei nicht sie. Nein, sie wolle das Mädchen sein, „das für Bildung kämpft“, schreibt Malala Yousafzai in ihrem am Dienstag erschienenen Buch „Ich bin Malala“. Doch darüber, wer Malala ist, hat die 16 Jahre alte Pakistanerin längst die Deutungshoheit verloren. Die Vereinten Nationen haben sie zur Vorkämpferin für eine weltweite Bildungskampagne erkoren. Westliche Stars wie Madonna und Beyoncé stilisieren sie zur Ikone einer islamischen Frauenemanzipation. Und jetzt wird sie sogar für den Friedensnobelpreis empfohlen.

Auch ihre Autobiographie, die sie mit Hilfe der britischen Journalistin und Buchautorin Christina Lamb geschrieben hat, ist streckenweise ein Zugeständnis an die Erwartungen eines westlichen Publikums. Interessant wird es immer dann, wenn das Mädchen Malala Kind sein darf und sie die Taliban als „Männer mit merkwürdig langen Haaren und Bärten“ beschreibt. Wenn sie nicht der ganzen Welt erklären muss, warum „wir Paschtunen“ die von den Briten gezogene Grenze zu Afghanistan nicht anerkennen und welche Fehler der Militärherrscher Zia-ul-Haq lange vor ihrer Geburt gemacht hat. Das Buch erzählt von der mädchenfeindlichen Gesellschaft im Nordwesten Pakistans, wo Väter bei der Geburt einer Tochter bemitleidet werden- davon, wie der Hassprediger Maulana Fazlullah zunächst über Radioprogramme islamistisches Gedankengut im Swat-Tal verbreitete, wo die pakistanischen Taliban von 2007 an Mädchenschulen angriffen und ein Terrorregime etablierten, bevor sie 2009 durch eine Militäroperation zurückgedrängt wurden.

„Mein Vater hat mir gesagt, ich muss Politikerin werden“

In dieser Zeit, als Elfjährige, wurde Malala in Pakistan und international bekannt, weil sie in Interviews und in einem Blog für die BBC die Greuel der Talibanherrschaft beschrieb. Damals wurden auch andere Mädchen interviewt. Deren Eltern verbaten es ihnen aber, schreibt Malala, als sie in die Pubertät kamen. Malalas Vater dagegen, ein Aktivist und Direktor einer privaten Mädchenschule, erkannte schnell, dass seine Tochter mit ihren Medienauftritten viel mehr bewirken konnte als er selbst. „Ich möchte Ärztin werden, das ist mein eigener Traum, aber mein Vater hat mir gesagt, ich muss Politikerin werden“, sagte das Mädchen 2009 in einem Dokumentarfilm des Amerikaners Adam B. Ellick. In seinem neuesten Video „The Making of Malala“ sagt der Filmemacher: „Die Art und Weise, wie ihr Vater Malala drängte, sich dem Kampf anzuschließen, erinnerte mich an Eltern, die ihre Kinder zum nächsten Tennisstar machen wollen.“ Am Ende stellt er die Frage, ob der Vater sowie er selbst als Journalist das Mädchen durch zu viel Öffentlichkeit in Gefahr gebracht hätten.

Vor einem Jahr bestiegen zwei bewaffnete Männer den Schulbus, in dem Malala saß, und stellten jene Frage, mit dem das Mädchen nun auch mit ihrem Buch antworten will: „Wer (von den Mädchen) ist Malala?“ Nur durch viel Glück, durch die Intervention britischer Ärzte und der Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate, die ihr Privatflugzeug für den Patiententransport zur Verfügung stellte, überlebte sie. Mit dem Angriff und ihrer Behandlung in Großbritannien beginnt Malalas unfreiwilliger Aufstieg zum Medienstar.

An ihrem 16. Geburtstag hält sie vor großem Publikum eine Rede auf einer Jugendtagung der Vereinten Nationen. Während sie Gratulationen aus der ganzen Welt erhält, rumort es in pakistanischen sozialen Netzwerken. Viele Landsleute werfen ihr vor, sich zum Büttel des Westens zu machen, ruhmsüchtig zu sein oder gar den Angriff der Taliban nur vorgetäuscht zu haben, um im britischen Birmingham ein Luxusleben zu führen. Die Kommentare sprechen Bände über den verworrenen Geisteszustand Pakistans.

„Okay, erschieß mich, aber hör mir erst zu.“

Es gehört zu den Stärken des Buches, dass es diese Widersprüche anspricht, wenn auch nur oberflächlich. „Auf Twitter und Facebook konnte ich sehen, wie meine eigenen pakistanischen Brüder und Schwestern sich gegen mich wendeten“, schreibt die Autorin und erklärt die Kommentare mit der Enttäuschung ihrer Landsleute über Politiker, die immer viel versprochen und wenig gehalten hätten. Bisweilen ist das Buch erfrischend ehrlich. Etwa dann, wenn Malala erzählt, ihr Vater habe dem Präsidenten Asif Ali Zardari nicht den Besuch an ihrem Krankenbett verwehren können, da seine Regierung schließlich die Behandlungskosten bezahlt habe.

Das Buch ist ein Spagat zwischen den naiven Gedanken einer Jugendlichen, die ihren Attentätern zurufen möchte: „Okay, erschieß mich, aber hör mir erst zu. Was du tust, ist falsch. Ich bin nicht gegen dich persönlich, ich will nur, dass jedes Mädchen zur Schule geht“, und den hohen Erwartungen des Publikums, das in ihr eine Friedensbringerin sieht. Man ist geneigt, ihr zu wünschen, dass sie den Friedensnobelpreis nicht bekommt, für densienominert ist.. Damit sie das Mädchen sein kann, „das für Bildung kämpft“.

Einen Preis aber wird sie in jedem Fall empfangen: Für ihren Kampf für Schulbildung wird sie in diesem Jahr den Sacharow-Preis des EU-Parlaments erhalten. Darauf haben sich die Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament an diesem Donnerstag in Straßburg nach Angaben eines Sprechers geeinigt. Ihre Mitbewerber in der Endauswahl waren der ehemalige amerikanische Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden und drei Menschenrechtsaktivisten aus Weißrussland, darunter der inhaftierte Ales Beljatzki. Der Preis wird am 20. November überreicht.