Wirtschaft

Wie verrückt sind die Börsen?

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Zwei Ökonomen müssen sich den Nobelpreis 2013 teilen. Ihre Ansichten sinddiametral entgegengesetzt. Der eine setzt auf die Effizienz der Finanzmärkte, der andere warnt vor Exzessen. Wer hat recht?

Viele Leute mögen immer schon gedacht haben, die Ökonomie sei die einzige Wissenschaft, in der zwei Leute das Gegenteil behaupten können, und beide einen Nobelpreis bekommen, schreibt der Ökonom Paul Krugman in der New York Times. „Aber selbst solche Leute werden es nicht für möglich gehalten haben, dass zwei Ökonomen mit sich widersprechenden Thesen im selben Jahr denselben Nobelpreis gemeinsam erhalten.“

Genau das aber ist passiert. Eugene Fama, Professor aus Chicago, und Robert Shiller, Professor in Yale, teilen sich den Wirtschaftsnobelpreis. Mit von der Partie ist auch noch Lars Peter Hansen, der allerdings als Spezialist für statistische Methoden gleichsam außer Konkurrenz läuft.

Fama und Shiller aber stehen für gegensätzliche Sichtweisen auf die Finanzmärkte: Fama glaubt, dass sie gut funktionieren – effizient sind, wie die Ökonomen sagen. Shiller dagegen meint, Finanzmärkte neigten prinzipiell zu irrationalen Übertreibungen, getrieben von der Angst und Gier der Anleger.

Es geht um eine wichtige Frage: Schließlich hängt von der Zuverlässigkeit der Finanzmärkte ab, wie sehr die Politik diese regulieren muss, um Krisen mit katastrophalen Folgen zu verhindern. Und von ihr hängt ab, mit welcher Strategie Anleger ihr Geld investieren sollten, um ihr Vermögen so gut wie möglich vor Verlusten zu schützen.

Wer hat also recht? Und was folgt daraus für die Anleger?

Kein Anleger kann den Markt auf Dauer schlagen

Um eine Antwort zu finden, muss man zunächst betrachten, wie Fama und Shiller zu ihren Einschätzungen kamen. Fama untersuchte in den 60er Jahren mit Hilfe von Computern lange Zeitreihen von Aktienkursen der Börse in New York. Er wollte zum Beispiel wissen, wie schnell der Kurs einer Aktie reagiert, wenn Unternehmen eine höhere Dividende ankündigen. So wollte er testen, wie „informationseffizient“ die Märkte sind: wie schnell Informationen in die Kurse einfließen – „eingepreist“ werden, wie die Ökonomen sagen.

Seine Ergebnisse bestätigten die sogenannte „Effizienzmarkthypothese“: Diese geht davon aus, dass Anleger rational entscheiden und der Markt alle Informationen aggregiert. Preise an den Finanzmärkten spiegeln dann zumindest alle öffentlich zugänglichen Informationen vollständig wider. Kurse sind dann nicht vorhersagbar, weil die künftige Kursentwicklung völlig unabhängig von der bisherigen ist. Und niemand (außer Insidern) kann noch nicht eingepreiste Informationen haben, die etwas darüber sagen, ob die Kurse morgen steigen oder fallen. Die Folge: Kein Anleger kann den Markt auf Dauer schlagen.

In Famas Modell kann es nicht zu Preisblasen kommen. Rationale Investoren erkennen, wenn ein Kurs zu hoch ist, und betreiben Arbitrage: Sie verkaufen und nehmen Gewinne mit. „Es gibt keine Blasen“, sagte Fama gerade noch mal im F.A.Z.-Interview. Sogar sein Abonnement der Zeitschrift „Economist“ kündigte er, weil ihm dort das Wort „Blase“ zu oft vorkam.

Periodische Ausbrüche des Wahnsinns

Für die gegenteilige Position steht Robert Shiller. Ihm war in statistischen Auswertungen von Aktienkursen aufgefallen, dass die Kurse stärker schwankten, als es der „innere Wert“ der Aktien (verkörpert durch die erwarteten künftigen Dividendenzahlungen) eigentlich nahegelegt hätte. Shiller griff auf Erkenntnisse aus der Massenpsychologie und Verhaltensökonomie zurück. Dort spielen Angst und Gier eine wichtige Rolle. Nach seiner Auffassung spiegeln auch die Preise an den Finanzmärkten nicht allein alle vorhandenen Informationen wider – sondern werden auch von Emotionen der Anleger bestimmt. Herdenverhalten kann dazu führen, dass die Preise sich von allen Fundamentaldaten abkoppeln und Blasen entstehen. Und zwar in Zyklen, die bestimmten Mustern folgen. So, wie es schon der Ökonom John Galbraith 1929 formulierte: „Es liegt in der Natur des Kapitalismus, dass es periodisch zu Ausbrüchen des Wahnsinns kommt.“

Shiller nimmt für sich in Anspruch, zweimal das Platzen einer Preisblase vorhergesagt zu haben: im Jahr 2000 für die Internetaktien und im Jahr 2005 für den amerikanischen Häusermarkt. Fama hält dem entgegen, das seien Glückstreffer gewesen. Shiller habe seit 1996 ständig irgendwelche Blasen vorhergesagt. Nicht viel sanfter geht umgekehrt Shiller mit seinem Mit-Nobelpreisträger um: Er nennt Famas Effizienzmarkthypothese sogar den „größten Fehler in der Geschichte des ökonomischen Denkens“.

Rationales Ausnutzen der Irrationalität

Alle gutgemeinten Versuche, die beiden Theorien für vereinbar zu erklären, können deshalb zumindest nicht auf die Zustimmung ihrer Erfinder rechnen. Wie schrieb die englische „Financial Times“ vergangene Woche? Die Entscheidung des Nobel-Komitees sei so, als ob man Ptolemäus und Kopernikus zusammen den Preis gegeben hätte – von denen der eine die Welt für den Mittelpunkt des Universums hielt und der andere nicht.

Vieles spricht dafür, dass Shiller dabei in der Geschichte der Finanzmarktforschung eher die Rolle des Kopernikus zukommt – der die alte, dogmatische Theorie in wichtigen Punkten revolutioniert hat. Nach zwei geplatzten Blasen (2001 bei den Internetaktien und 2007 am amerikanischen Häusermarkt) gibt es nicht mehr viele Ökonomen, die deren Existenz so hartnäckig leugnen wie Fama.

Was bedeutet der Streit nun für die Aktienanlage? Paradoxerweise müsste gerade Shillers Theorie von den irrationalen Anlegern das rationale Ausnutzen von Übertreibungen des Marktes theoretisch möglich machen – wohingegen bei Famas vollkommen rationalen Anlegern auf effizienten Märkten Aktienanlage zum Glücksspiel würde.

Nobel-Stiftung hätte besser auf Fama hören sollen

Kein Wunder, dass deshalb Anlageexperten und Fondsmanager, die auf die Auswahl einzelner Aktien spezialisiert sind, viel Sympathie für Shillers Theorie zeigen – wohingegen Experten für Indexfonds, die blind einen ganzen Markt abbilden, eher Famas Leistungen loben.

„In der Praxis sehen wir eher den Ansatz von Shiller bestätigt“, sagt Frank Naab vom Bankhaus Metzler, das für wohlhabende Kunden auch Einzelaktien auswählt. Der Mannheimer Finanzwissenschaftler Martin Weber dagegen, ein Vordenker der Indexfonds, meint: „Mit den beiden Theorien verhält es sich wie mit der Frage, ob die Erde eine Kugel ist. Sie ist rund, aber es gibt auch Gebirge wie den Himalaja.“ Privatanleger sollten davon ausgehen, dass Aktienmärkte effizient seien – und man sie nicht schlagen könne. Winzige Ineffizienzen auszunutzen, sei eine Strategie höchstes für Hedgefonds.

Die Nobel-Stiftung selbst hat übrigens offenbar zu sehr auf Shiller gesetzt – und hätte besser mehr auf Fama gehört. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls die Nachrichtenagentur Bloomberg in einer Analyse. Weil das Stiftungsvermögen nicht breit genug gestreut war, hat es kräftig unter Kursverlusten gelitten: Deshalb mussten sogar die Preisgelder gesenkt werden.